Ein gutes Sozialverhalten unter Hunden ist das, was die allermeisten Hundehalter sich wünschen, wenn sie sich einen Welpen anschaffen.
Dazu gehen sie unter anderem auch in eine Welpenstunde.
Hier sollen die Kleinen lernen, sich untereinander gut und angemessen zu verhalten.
Der Alltag und die Sozialverträglichkeit
Der Alltag eines jeden Hundebesitzers ist, zumindest in der Stadt, recht einfach beschrieben.
Man geht raus und trifft an jeder Ecke einen Hund. Kleine Hunde, mittlere Hunde, große Hunde. Hunde jeglicher Rasse, jeglichen Alters, Charakters und gesundheitlicher Zustände.
Nun. Und hier fängt es an mit der angeblichen Sozialverträglichkeit.
All diese verschiedenen Hunde müsste ein gut sozialisierter Hund jetzt angemessen einschätzen können:
Will der andere überhaupt Kontakt? Wenn ja, auf welche Art will er den Kontakt? Möchte der zur Begrüßung wirklich über den Haufen gerempelt werden? Oder will der vielleicht nur einen ganz kurzen, höflichen „Guten Tag“ austauschen und dann unbehelligt seiner Wege gehen?
Wunsch oder Wirklichkeit?
Hier beginnt der Punkt, an dem Wunsch und Wirklichkeit ganz häufig aufeinanderprallen.
Man könnte auch vom Urknall aller Probleme im Alltag von Hundehaltern sprechen.
Denn in der Stadt sind die Möglichkeiten für Freilauf recht begrenzt. Zum Freilauf treffen sich alle Hundehalter an den selben Plätzen. Und jeder bringt seinen Vierbeiner mit. Den kleinen, den großen, den alten, den kränklichen, den sensiblen, den draufgängerischen Hund.
Damit das überhaupt einigermaßen konfliktfrei funktionieren kann, brauchen wir bei dieser Hundedichte auf begrenztem Raum vor allem Hunde, die den anderen Artgenossen in seiner Befindlichkeit, in seiner Körperlichkeit und seinem Wesen wahrnehmen können.
Der ganz normale Wahnsinn
Die Realität sieht jedoch meist ganz anders aus.
Da werden Artgenossen gejagt, gemobbt und ohne Rücksicht auf Verluste über den Haufen gerempelt. Mit Hundehaltern dabei, die entweder nicht in der Lage sind einzugreifen oder, das ist das erschreckende, meistens nicht einmal erkennen, was ihre Hunde da eigentlich tun. Mit Spiel haben diese Treffen häufig überhaupt nichts zu tun.
Im Gegenteil werden auf diese Art Hundebegegnungen für viele Vierbeiner zu reinem Stress.
Für Spiel gibt es Regeln
Die wichtigste Regel lautet: Ein Spiel ist nur solange ein Spiel, wie alle Beteiligten gleichermaßen Freude daran haben. In der Interaktion miteinander, in der Art, wie sie miteinander umgehen, in der Körperlichkeit, wie sie von beiden angemessen in Abgleich zum Wohlbefinden des anderen eingesetzt wird. Findet das einer doof, ist es kein Spiel mehr. Punkt.
Spiel ist es überhaupt nie, wenn nur einer auf Kosten des anderen Spaß hat. Oder mehrere auf Kosten eines einzelnen.
Rumrempeln und den anderen ungefragt über den Haufen zu bollern, ist ohnehin weder ein Spiel, noch eine adäquate Kontaktaufnahme. Da probiert sich einer körperlich auf Kosten des anderen aus. Und ja, auch viele Welpen versuchen das schon mit ihren kleinen Kollegen. Der eine mehr, der andere weniger. Das nimmt man zur Kenntnis – und dann unterbindet man das!
Einen Hund zur Sozialkompetenz zu erziehen ist Arbeit
Und es ist Arbeit von Welpenbeinen an.
Einen sozialverträglichen Hund für den Alltag zu bekommen, heißt tatsächlich genau eins überhaupt nicht:
Dass mein Welpe in der Welpenstunde so viel Freispiel und Freiraum wie möglich bekommt. Weil er gerade Lust auf Spiel hat. Genau so und auf die Art, wie er das gerne möchte.
Es bedeutet stattdessen, seinen Welpen sehr gut zu beobachten, ihn klar zu unterbrechen, wo er sich auf Kosten eines anderen „vergisst“ oder sogar gezielt dessen Befindlichkeiten ausblendet. Das gilt übrigens auch gegenüber seinen und anderen Menschen, nicht nur für Artgenossen!
Seinen Hund nicht zu unterbrechen heißt, seinem Hund das Lernen von Umgangsregeln und Sozialkompetenz vorzuenthalten.
Man erzieht sich stattdessen einen egoistischen sozialen Krüppel. Schlimmstenfalls einen, der als Erwachsener durchaus gefährlich für seine Artgenossen oder Menschen wird.
Gesundheitliche Aspekte
Keine klare Einflussnahme auf völlig unangemessenen und ungebremsten Körpereinsatz im Spiel kann im übrigen auch gravierende gesundheitliche Auswirkungen haben.
Die Gelenke und Knochen sind in diesem Alter noch weich und besonders stoßanfällig. Verletzungen, die in diesem Alter stattfinden, manifestieren sich häufig zu lebenslangen Sollbruchstellen. Sowohl bei dem, auf den draufgeknallt wird als auch bei dem, der nur mit Wucht und Anlauf in die anderen reinballert.
Auswirkungen von ungeregeltem Welpenspiel
Es sollte nicht unterschätzt werden, was sich Welpen schon alles merken.
Die wissen schon nach der erste Welpenstunde, welcher Hundekollege sich ihnen gegenüber wie verhalten hat und ob sie den cool finden oder doof.
Das führt, unkommentiert und ungeregelt, bei vielen Hunden schon in diesem Alter dazu, dass mancher aus lauter Verzweiflung nachher alles an Aggressionsverhalten rausholt, was er rausholen kann, um sich sämtliche Artgenossen vom Leib zu halten. Er hat als Opfer gelernt, dass Angriff die beste Verteidigung ist.
Und was hat der Draufgänger gelernt?
Er hat gelernt, dass nur seine Wünsche zählen und ihn die Befindlichkeiten des anderen nicht interessieren. Alle sollen nach seiner Pfeife tanzen.
Wünschenswert kann das alles nicht sein.
Regeln in der Welpenstunde
Dieses Thema wird bei uns sehr klar vermittelt und umgesetzt. Es bestehen ganz eindeutige Regeln.
- Wer nur rempeln kann, muss etwas anderes lernen.
- Wer nur jagen kann, muss etwas anderes lernen.
- Wer nur raufen will, muss etwas anderes lernen.
- Wer nicht hinhören kann, was der andere sagt, muss etwas anderes lernen.
Wenn es vom Wesen und der Körperlichkeit passt, darf man an der einen oder anderen Stelle natürlich auch einmal etwas laufen lassen. Es macht aber keinen Sinn, von einem unsicheren und sensiblen Welpen zu verlangen, er solle sich nur mal ordentlich gegen die Rüpel zur Wehr setzen.
Es ist ebenso unsinnig, zwei potenzielle Raufbolde einfach unkommentiert agieren zu lassen; denn die proben jetzt schon, was euch später mit eurem Hund ins Abseits stellt: Es wird keine entspannten Hundebegegnungen mehr geben.
Können sich groß und klein verstehen?
Ja. Es ist möglich. Bei den meisten zumindest.
Es ist nur deutlich mehr Mühe. Mehr Mühe, bei den Kleinigkeiten hinzuschauen. Der Wille, seinem Hund schon als Welpe beizubringen, dass er sich anpassen muss. Der Wille, seinem vierbeinigen Panzer mitzuteilen, dass er auch etwas anderes lernen muss. Nämlich vorsichtig zu sein, wenn jemand anders vorsichtig behandelt werden will.
Genau das ist die Herausforderung für jeden Welpenbesitzer.
Freut euch nicht an dem „Spiel“ zwischen zwei Bulldozern. Freut euch nicht, wenn ein ängstlicher Welpe plötzlich verzweifelt schreiend und schnappend in Gegenwehr geht. Das ist nicht witzig.
Übt, dass euer Hund echte Umgangsregeln lernt.
Denn genau das macht das aus, was ihr im Alltag braucht.
Jeden Tag. Sobald ihr rausgeht. In jeder einzelnen Hundebegegnung.
© Judith Borck – Hundeschule Bremen – Training für Mensch und Tier
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